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GOLDWIND macht sich Gedanken:

900 Mio Euro in 2 Tagen – geht doch!

Die Kathedrale in Paris brannte noch lichterloh, da überschlugen sich die Spendenmeldungen bereits. In Rekordzeit kamen fast 1 Milliarde Euro zusammen. Als das Feuer gelöscht und die Emotionen gleichsam abgekühlt war, rieb sich manch Fundraiser verwundert die Augen: So viel Geld für ein Gebäude, statt für Menschen? Wie ist das möglich?
Notre Dame gibt Anlass, das eigene Fundraising auf den Prüfstand zu stellen.

Selbstverständlich ist Notre Dame nicht nur irgendein Gebäude. Es ist vielmehr als das. Und doch ist auf dem Papier nur ein Dach ausgebrannt. Menschen starben zum Glück keine, auch gab es keine große Anzahl an Verletzten. Ein Stück Kultur wurde zerstört. Kultur, das ist im Fundraising das, was gemeinhin als „schwierig zu verkaufen“ gilt. So sind es vor allem Humanitäre Organisationen, die sich fassungslos fragen, warum sie um jeden Euro kämpfen müssen, wo es anscheinend genug Spendenwillige gibt, die spontan sehr viel Geld zu geben bereit sind.

In meinen Augen hat jede Organisation und jeder Spendenzweck eine Daseinsberechtigung. Und jede/r Spender/in darf sich den Zweck aussuchen, der ihr oder ihm am wichtigsten ist. Ein moralischer Zeigefinger, wie er aktuell vielerorts erhoben wird, ist nicht fair. Hier hatten einfach viele Menschen das tiefe Bedürfnis zu spenden und das ist eine tolle Sache. Sie zeigt uns, dass es geht! Dass man Menschen für eine Sache vereinnahmen kann – sogar für Kultur. Ich predige schon lange, dass man für jeden Spendenzweck Spenderinnen und Spender finden kann. Man muss die Kommunikation nur an ihnen ausrichten, nicht am Spendenzweck. Genau darin liegt der Erfolg von Notre Dame: Hier ging es mitnichten um ein Gebäude, sondern ausschließlich um Menschen - um die Spender!

Warum so viele Menschen so bewegt waren und spendeten, hatte aus psychologischer Sicht verschiedene Gründe. Ich will an dieser Stelle die wichtigsten anreißen:

  • Verlust: Menschen reagieren auf Verluste stärker als auf Gewinne (sog. Verlustaversion). Je heftiger der Verlust, desto stärker die Emotion. Der sich jahrelang schleichend anbahnende Verlust hat nur zu vergleichsweise mühsam eingeworbenen Spenden geführt (s. Renovierungsarbeiten zuvor). Der plötzliche (fast) Totalverlust innerhalb weniger Stunden, traf ins Mark. Merke: Der Verlust betrifft nicht das Gebäude, sondern die Menschen, die einen Teil ihrer(!) kulturellen Identität verlieren.
  • Terror-Management-Theorie (TMT): Diese besagt im Kern, dass die größte Furcht der Menschen (=Spender) die vor dem Tod ist. Das Wissen um die eigene Vergänglichkeit unterscheidet uns von anderen Lebewesen. Um der Vergänglichkeit etwas entgegenzusetzen, gibt es zwei Grundstrategien: Der Glaube an eine kulturell und religiös geteilte Weltsicht (soziale Normen und Werte) und die Gewissheit der eigenen Bedeutsamkeit (Selbstwert). Beides wird laut TMT bei Bedrohung in höchstem Maße verteidigt. Eine brennende Kirche, die gleichzeitig Kulturschätze enthält, löste bei vielen nichts weniger als physischen Schmerz aus (vgl. viele Twitter-Nachrichten während des Feuers). Notre Dame steht wie wenige andere Gebäude für die europäische Kultur und Geschichte. Sein Verlust wirkt also doppelt und muss dringend wieder hergestellt werden. Sich am Wiederaufbau zu beteiligen, erhöht die eigene Wichtigkeit über den Tod hinaus. Sich hier ein Denkmal zu setzen, ist befriedigender als eine Hungersnot zu lindern (>> franz. Großspender).  
  • Teilhabe: Wer am nächsten Morgen vom Brand erfahren hat, war nicht so sehr bewegt, wie diejenigen, die dem Brand ohnmächtig vor dem Fernseher verfolgten. Sehr viele Menschen haben das getan (s. Diskussion um einen fehlenden Brennpunkt der ARD). Merke: Spender konnten das Geschehen live verfolgen. Somit wurden sie zum Teil des Ganzen. 
  • Nähe (aus deutscher Sicht): Frankreich ist um die Ecke. Christliche Kirchen sind unser eigenes Kulturgut. Die überwiegende Mehrheit der Spender wird Notre Dame selbst besucht haben. Sie haben also eine eigene Erinnerung daran. Notre Dame ist sehr nah an (zentraleuropäischen) Spendern. Aus französischer Sicht ist dieser Punkt natürlich ungleich stärker. Um nicht zu sagen: Mehr Nähe, im Sinne von Identifikation, ist schwer möglich. 
  • Sichtbarkeit: Je mehr und je schneller gespendet wird, desto schneller wird Notre Dame (und somit die kulturelle Weltsicht im Sinne der TMT) wieder hergestellt. Im Gegensatz zu Humanitären Einsätzen im Ausland, kann der Wiederaufbau mitverfolgt werden. Merke: Der Spender sieht, was mit seinem Geld geschieht. Und das weiß er schon zum Zeitpunkt der Spende. Das Endziel, der Wiederaufbau, kommt ihm selbst zugute. 
  • Zeitpunkt: Zuletzt stand Ostern vor der Tür (vor Weihnachten hätte es sicher noch ein paar Euro mehr gegeben) und erinnert die Menschen an ihre christlichen Werte.

All diese Punkte haben mit dem Spender selbst zu tun. Daher hat der Wiederaufbau Notre Dames eine persönliche Relevanz. Eine Spende mindert seinen Verlustschmerz, macht ihn „unsterblich“, befreit vom Entsetzen und ermöglicht eine Wiederherstellung seiner Weltordnung. Wer Notre Dame nicht kennt und somit alles dies nicht fühlt, den wird kein Fundraiser mit rationalen Argumenten vom „Erhalt einer bedeutenden Kirche“ von einer Spende überzeugen. 

Notre Dame ist ein besonderer Fall. Das Kulturfundraising wird deswegen keinen Boom erleben (auch wenn Denkmalschützer im Fahrwasser kurz mitfahren können, wenn sie es klug zu wissen nutzen). Aber er zeigt, dass viele Spenden möglich sind, wenn es um die Spenderinnen und Spender selbst geht. Dass es dafür nicht nur große Kirchengebäude braucht, haben wir vor einigen Jahren schon einmal erlebt. Die nahezu unbekannte ALS Association verzeichnete innerhalb eines Monats knapp 100 Mio. Spenden. Ebenso wenig wie das Gebäude von Notre Dame stand damals die Krankheit ALS als solche im Vordergrund. An der Ice Bucket Challenge haben sehr viele Menschen teilgenommen, die Spaß am Leben haben und diesen gerne nach außen transportieren. Die sich gerne selbst darstellen und andere daran teilhaben zu lassen. Für diese Menschen ist eine todbringende Krankheit die größte Bedrohung ihres Lebensstils. Ihnen ging es nicht darum, etwas über ALS zu lernen. Sie spendeten, um eine mögliche Gefahr für ihre eigene Lebensfreude abzuwenden. Erst im zweiten, rationalen Schritt ging es um mögliche Betroffene.

Was bedeutet das für Ihre Organisation?
Notre Dame oder die Ice Bucket Challenge lassen sich nicht 1:1 zu übertragen. Es bringt weder etwas, sie „stumpf“ adaptieren zu wollen, noch darüber zu diskutieren, ob es fair ist, dass die Menschen hierfür so viel Geld spenden und für andere Zwecke nicht. Wir sollten nicht über Spender und ihre Motive urteilen. 

Fragen Sie sich vielmehr: Was bewegt die Spender bei uns am stärksten? (Nicht: Was denken wir oder was wünschen wir uns, warum sie spenden.) Wie kann ich das ins Fundraising übertragen? Beide Cases sind gute Beispiele dafür, was möglich ist, wenn sich das Fundraising an den echten Bedürfnissen der Menschen ausrichtet. Gelingt das auch Ihrer Kommunikation? Oder stehen dort die Argumente und Bedarfen der Organisation im Fokus?

Emotionen haben schon lange Einzug in das Fundraising gehalten. Doch viel zu selten beschäftigen sich Organisationen mit den wahren Beweggründen ihrer Spenderinnen und Spender. Hätten wir die Menschen eine Woche vor dem Brand gefragt, ob sie eher für hungernde Menschen oder ein Kirchengebäude spenden würden, die Antwort wäre klar ausgefallen. Auf rationale Fragen gibt es nur rationale Antworten. Spendenakte sind aber nicht rational. Da müssen Organisationen tiefer bohren. *Werbung für eine psychologisch fundierte GOLDWIND-Spenderbefragung und Analyse aus* ;-)

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Danielle Böhle macht sich Gedanken

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