Viel wird seit den letzten Jahren über Generationen gesprochen: Babyboomer, Generation X bis Z, Alpha … wer steigt da noch durch? Manche stellen das Generationenkonzept auch ganz in Frage. Können wirklich alle Personen einer Alterskohorte gleich sein? Sind die Unterschiede nicht vielmehr eine Frage des Alters? Zeit für eine Einordnung: Was ist dran am Generationenkonzept und wie hilft es in der Fundraisingkommunikation?
„Unsere Jugend ist heruntergekommen und zuchtlos. Die jungen Leute hören nicht mehr auf ihre Eltern. Das Ende der Welt ist nahe.“ (Keilschrifttext, Chaldäa, um 2000 v. Chr.) Diese Wahrheit galt vor viertausend(!) Jahren genauso wie vor 200 oder 50 und wird auch in 250 Jahren noch unbestritten sein. Nur die eigene Jugend bildet selbstverständlich eine Ausnahme. (Erinnerungsverzerrungen sind psychologisch gut belegt ;-) )
Tatsächlich gibt es Belege, dass die aktuelle junge Generation in Bezug auf das Arbeitsleben ebenso motiviert ist wie Generationen vor ihr - nicht mehr, nicht weniger. Arbeitsmotivation schwankt systematisch mit dem Alter, weil Arbeit und Karriere in unterschiedlichen Lebensphasen eine unterschiedliche Priorität haben. Dasselbe gilt fürs Geldspenden. Mit 20 hat das eine andere Priorität im allgemeinen Konsumverhalten als mit 65 Jahren, wenn das meiste abbezahlt ist und man den Blick auf anderes richtet. (Aber Vorsicht: Das ist kein Automatismus, wie ich bereits hier beschrieb!) Auch die Bereitschaft ein Ehrenamt zu übernehmen, ist in den Lebensphasen nicht gleich ausgeprägt.
Doch um diese Punkte geht es in der Generationenforschung nicht. Auch wenn es ihr oft vorgeworfen wird, negiert sie Alterseffekte nicht. Sie hat schlicht einen anderen Fokus. Ihr geht es um die gesellschaftliche Sozialisation. Altersbedingte Veränderungen bleiben davon unbenommen, ebenso wie Geschlechterunterschiede oder Einflüsse der sozioökonomischen Herkunft. Die alle machen die Heterogenität innerhalb der Gruppen aus. Diese Aspekte werden jedoch ausgeblendet, um die Einflüsse gesellschaftlicher Veränderungen sichtbar zu machen.
Die Einteilung der Generationen nach Geburtsjahren ist daher nur eine Orientierungshilfe. Denn das Alter spielt für sich genommen keine Rolle. Entscheidender ist die Frage wie eine Generation in Kindheit und Jugend sozialisiert und geprägt wurde. Und zwar durch die damals vorherrschende gesellschaftliche Gesamtlage (Politik, Weltlage, historische Ereignisse, Erziehungsstile, Medienkonsum, Lifestyle, Musikeinflüsse, Kommunikationsmittel, Trends usf.). Die Generationenforschung will wissen, wie sich eine stetig verändernde Gesellschaft auf Heranwachsende auswirkt, sodass sie sich in ihrem gesamten Lebensverlauf systematisch von anderen Generationen unterscheiden lassen.
Natürlich wirkt sich ein gesellschaftlicher Wandel auf alle Menschen aus. Doch es ist ein Unterschied, ob ich mit dem Smartphone aufwachse (und nie auf einen Brief warten musste, eine Verabredung nicht kurzfristig verschieben konnte oder zur Recherche eine Bibliothek aufsuchen musste), ob ich mich im Laufe des Lebens damit angefreundet habe oder ob ich bei dessen Erfindung in einem Alter bin, wo ich "nicht mehr alles mitmachen" muss und lieber bei Gewohntem bleibe (die nachlassende Anpassungsfähigkeit ist im Übrigen ein typischer Alterseffekt und tritt in jeder Generation auf). Auch wirken sich Erziehungsstile auf das ganze Leben aus. Egal wie individuell Eltern ihre Kinder erziehen und ihre persönlichen Werte vermitteln, es gibt immer gesellschaftliche Erziehungstrends, die sich auf ganze Generationen legen und deren Leben prägen (Pflicht und Gehorsam, antiautoritär und regelfrei, partizipativ und selbststärkend). Auch ist es ein Unterschied, ob man zu Kriegszeiten, im Wirtschaftsaufschwung, mit dem Fall der Mauer und offenen Grenzen oder in Zeiten multipler Krisen und allgegenwärtiger Terrorgefahr (9/11) aufwächst. Diese Gefühle der Jugend prägen den Blick auf die Welt.
Es lohnt sich also zwischen den Generationen zu differenzieren. Wie bei allen Clusterungen sagen die durchaus nachweisbaren Gruppenunterschiede nichts über das einzelne Individuum aus. Der Einzelne kann völlig untypisch für die Gruppe sein. Individuen sind in der Massenkommunikation (Mailinggeschäft, Online-Kampagnen) aber irrelevant. Wer an die Masse kommuniziert, sucht nach der höchsten Wahrscheinlichkeit möglichst viele (und eben nicht alle!) bestmöglich abzuholen.
Welche Auswirkungen haben die Generationen auf das Fundraising?
Egal, ob ein Spendenaufruf oder die Spenderbindung im Fokus einer Kommunikationsmaßnahme steht: eine Ausrichtung auf unterschiedliche Generationen erhöht sowohl den Spendenerfolg als auch die Bindung zur Organisation. Denn je stärker sich die Angesprochenen wiederfinden, umso wirkungsvoller die Kommunikation.
Die wichtigsten Generationsunterschiede und ihre Auswirkungen auf die Spenderkommunikation seien hier kurz skizziert:
Typische Kennzeichen: Pflichtbewusstsein, Gehorsam, Loyalität, Opferbereitschaft, Anerkennung Autoritäten (u.a. Kirchen)
Akteur der Hilfe: Die NGO, denn sie ist die Autorität, der man gehorsam vertraut, man selbst nimmt sich zurück.
Passender Call to Action: „Helfen Sie uns zu helfen“, „Unterstützen Sie unsere Arbeit, wir retten Kinder.“, „Wir geben Tieren ein Zuhause. Spenden Sie für uns.“
Tonalität: Relativ tolerant gegenüber dramatischen und wiederkehrenden auf die Not fokussierten Aufrufen („Menschen in Not.“, „Kinder müssen hungern!“, „jetzt helfen, um dem großen Elend ein Ende zu bereiten“), denn starkes Mit-Leiden ist Ausdruck der eigenen Opferbereitschaft.
Spendenverhalten: Gießkannenspender (Pflicht, allen helfen zu müssen; gehorsam gegenüber jedem Spendenaufruf), themenunabhängig, wenn Not hinreichend dargelegt
Typische Kennzeichen: Individualismus (Wunsch wahrgenommen zu werden), Selbstverwirklichung, Hedonismus, Idealismus, Optimismus, Autonomie/Entscheidungsfreiheit, Partizipation, Gemeinschaft, Demokratie
Akteur der Hilfe: Gemeinschaft aus NGO und Spender, eine Seite operativ, die andere mit Geld. Die eigene Anteil ist dabei tendenziell wichtiger als der NGO-Anteil.
Passender Call to Action: „Es geht nur gemeinsam“, „Zusammen mit Ihnen“, „Retten Sie mit Ihrer Spende ein Stück Natur“, „Sie können viel bewegen – Spenden Sie jetzt“
Tonalität: Wirkung wird wichtiger: Was wird durch meine Spende Positives erreicht? Drama und Mitleid nur in Maßen akzeptiert, nicht dauerhaft. Relevanz aufzeigen: Was hat Spendenthema mit dem eigenen Leben zu tun?
Spendenverhalten: Fokussiert, nur was relevant ist und mit der eigenen Persönlichkeit/Vorlieben übereinstimmt, wird bedacht. Toleranter gegenüber Werbung als vorhergehende Generation (Spendenbriefe ungeöffnet wegschmeißen, Spendenaufruf lesen aber als Werbung verstehen, die man ignorieren darf).
>> GOLDWIND-Lesetipp Babyboomer
Typische Kennzeichen: Erfolgs- und Zielorientierung, Materialismus, Konsum, Produktivität, Gegenleistung, Individualismus, unpolitisch, pragmatisch, skeptisch, perspektivlos
Akteur der Hilfe: Am besten jemand, den man (persönlich) kennt, weil man großen NGOs tendenziell misstraut; regionale NGOs
Passender Call to Action: „Schreiben Sie die Erfolgsgeschichte mit“, „Ihre Spende ist entscheidend.“, „Ihre Spende kommt an, wir zeigen Ihnen wie“
Tonalität: Fragen, die in der Kommunikation beantwortet werden müssen: Was leistet die NGO konkret? Welche Erfolge hat sie zu verzeichnen? Warum soll ich ihr vertrauen? Habe ich was davon?
Spendenverhalten: Spende wird lieber gelassen bevor das Geld an die Falschen geht und "versickert"
>> GOLDWIND-Lesetipp Generation X
Typische Kennzeichen: Wahlfreiheit, Selbstbestimmung, Sinnstiftung, Einbinden/Beteiligung, Community, Offenheit, Sharing, authentisch, Gegenwert erhalten, Abwechslung, Spaß [letztere vermutl. eher altersbedingt]
Akteur der Hilfe: Man selbst
Passender Call to Action: „Starte dein eigenes Spendenprojekt“, „Mach mit und zeig anderen, dass dir das Thema wichtig ist“, „Du kannst jetzt etwas tun und Dinge verändern“, „Werde aktiv“, „Hab Spaß und tue Gutes dabei“, „Cooles Produkt kaufen und nebenbei die Welt retten“, „Werde Teil des Projekts/der Bewegung/unserer Community"
Tonalität: Wunsch nach positiven Nachrichten, die einem selbst gut tun und Freude bereiten. Kaum Toleranz gegenüber negativen Botschaften und Problemfokussierung. Stattdessen: Lösungen aufzeigen! Gefühl geben, in der Welt selbst(!) etwas verändern zu können und Möglichkeit geben, das nach außen zeigen zu können. Wichtig: Anerkennung für Spende erhalten und Teil von etwas sein zu können.
Spendenverhalten: impulsiv, neue Ideen bekommen schnell eine Chance. Millennials sind weniger Markentreu. Bindung gelingt nur über Bedürfnisbefriedigung.
>> GOLDWIND-Lesetipp Generation Y
Wenn Sie tiefer in die Gedankenwelt der Generationen eintauchen wollen, lesen Sie meine Spenderinterviews mit Menschen aus unterschiedlichen Generationen. Sie finden Sie unter der Rubrik „GOLDWIND fragt - Spender antworten“