Die 36jährige Journalistin aus der Pfalz findet, dass Spenden eine gute Sache ist. Sie ist aber dennoch sehr skeptisch, geradezu pessimistisch, wenn sie an große Organisationen denkt. Zögerlich spielt sie mit dem Gedanken, ihre Zurückhaltung aufzugeben. GOLDWIND erzählt sie, wie ihr zwei Fundraiser begegneten, die anders waren als die anderen...
Julia, zu welchen Anlässen spenden Sie?
Hauptsächlich, wenn ich auf der Straße angesprochen wurde. Für Kinder, für die Welthungerhilfe, da auch mehrfach. Aber immer nur einen einzelnen Betrag. Was ich nicht gerne habe, sind monatliche Spenden. Daher gebe ich nur meinen Namen, nie meine Adresse an. Ich finde, man sollte selbst entscheiden können, wann und wie man spendet. Aber wenn Post kommt, dann fühlt man sich so verpflichtet. Ich habe das Gefühl, dass sich dann so ein Druck aufbaut.
Woher kommt dieser Druck?
Na ja, zu spenden finde ich ja schon gut. Es fühlt sich auch gut an, was Gutes zu tun. Aber ich will das halt nicht monatlich. Da bin ich nicht der Typ für. Ich kaufe auch meine Zeitschriften selbst, weil ich kein Abo will. Ich will meine Fixkosten im Monat gering halten und mich spontan entscheiden können.
Aber vielleicht habe ich auch noch nicht das Passende gefunden. Bei den Sachen, für die ich bisher angesprochen wurde, dachte ich immer: Ja, das finde ich gut. Aber da war nichts dabei, für das ich mich verpflichten wollte. Etwas, wo ich 100% hinter stehe. Und wenn ich dann Post bekomme, habe ich sofort ein schlechtes Gewissen, wenn ich den Brief wegschmeiße und nicht spende. Man hat ja immer was übrig. Aber will ich es wirklich DAFÜR ausgeben? Ich mach mir den Druck natürlich selbst. Deswegen vermeide ich die Post von vornherein.
Was spricht Sie eher an: Ein Spendenprojekt oder die dahinterstehende Organisation?
Ehrlich gesagt, in die Organisationen fehlt mir das Vertrauen. Ich hab noch keine Organisation gefunden, bei der ich denke, das Geld geht wirklich dahin, wo es hin soll. Ein Bekannter hat bei der Movember-Aktion mitgemacht und sich einen Schnurrbart wachsen lassen, um auf Hodenkrebs aufmerksam zu machen. Ich hatte die Aktion schon in den letzten Jahren auf Facebook gesehen. Aber dass ich spenden wollte, kam erst, als er mitgemacht und mit uns drüber gesprochen hat. Da fand ich gut, dass man weiß, wo das Geld landet. Mein Bekannter hat sich für eine bestimmte Stelle entschieden und hat das ganze Geld am Ende auch tatsächlich gesammelt da hingegeben. Da ist das Vertrauen ein anderes. Bei Tierhilfen bin ich dagegen extrem skeptisch. Eine Freundin spendet für Futter für rumänische Straßenhunde. Als ob die Hunde was davon bekommen… Das ist halt das, was ich denke. Und vielen dieser ganz großen Organisationen misstraue ich einfach zu einem ganz großen Stück. Das ist alles zu globalisiert. Ich bin da wohl sehr negativ…
Gibt es keine Ausnahmen?
Doch… kleinen Vereinen vor Ort vertraue ich schon. Wir wohnen ja im Vogelschutzgebiet. Und die vom Nabu brauchen hier Unterstützung. Da habe ich tatsächlich überlegt, einzutreten und da würde ich auch 5 Euro monatlich spenden. Die machen so Aktionen mit Kindern, auch mit behinderten Kindern. Und die machen für die Vögel eine ganze Menge. Da bin ich so nah dran, da kann nicht viel schief gehen. Außerdem fand ich sehr sympathisch, dass die ihren Besuch über die Zeitung angekündigt haben. Der Mann, der dann bei uns geklingelt hat, war sehr freundlich und hat mich völlig in Ruhe gelassen, als ich mich nicht sofort entscheiden wollte. Der wollte keinen Namen, hat nicht mal einen Flyer da gelassen. Er meinte, ich wüsste ja, wo sie sind. Der hat mir das ganz selber überlassen. Deswegen habe ich auch drüber nachgedacht.
In diesem Fall wäre auch der monatliche Rhythmus in Ordnung?
Na, 5 Euro gingen schon. Ich sehe ja, was damit geschieht. Das ist für mich entscheidend. Ich glaube, durch die Medien, vor allem das Internet, ist man heutzutage kritischer als früher. Man ist viel aufgeklärter und erfährt mehr. Es wird so viel aufgedeckt. Dadurch ist mein Vertrauen verloren. Deswegen muss ich mit eigenen Augen sehen, was mit dem Geld passiert.
Liebe Julia, vielen Dank für das offene Gespräch.
GOLDWIND analysiert:
Was Julia durchlebt, nennt die Psychologie „Reaktanz“. Es ist eine Art Trotzreaktion, die entsteht, wenn einer Person real - oder gefühlt - die Entscheidungsfreiheit entzogen wird. Das geschieht auch, wenn die Person das Gefühl hat, beeinflusst zu werden. Zum Beispiel auf emotionale Art durch Furcht- oder Schuldappelle („wenn Post kommt, MUSS ich spenden, sonst fühle ich mich SCHULDIG“). Im Fall der Beeinflussungsreaktanz erreicht der Absender oft das Gegenteil von dem, was er eigentlich wollte (Bumerangeffekt). Um das innerliche Dilemma zu lösen, führt die Reaktanz nämlich dazu, dass der Absender (hier die NGO) abgewertet wird. Bei Julia äußert sich das in einem generellem Misstrauen gegenüber allen großen NGOs. Eben jene, die am häufigsten Spendenaufrufe verschicken oder sie um Dauerspenden bitten. Da sie diesen nun per se misstraut, muss sie kein schlechtes Gewissen mehr haben, wenn sie nicht spendet.
Punkten können bei ihr ein Freund und der Nabu-Vertreter, der nicht mal einen Flyer übergibt. So überließ er ihr die volle Entscheidungskontrolle. Julia konnte nachdenken und - auch gefühlt - selbst entscheiden. Sie erkannte, dass sie die 5 Euro ja eigentlich doch hat, auch monatlich im „Abo“. Und wo es für sie keinen Grund gibt, den Absender abzuwerten, kann sie der NGO auch vertrauen, was die Mittelverwendung angeht.
(Dass es nicht nur um "Vertrauen" geht, wie Julia versucht ihr Verhalten zu rationalisieren, zeigt sich daran, dass sie auch beim Nabu nur bedingt kontrollieren kann, was mit allen Spendengeldern geschieht. Es ist für sie aber eine plausible Erklärung für ihr eigenes Verhalten.)
Was beim ersten Lesen nach einem „irrationalen“ Spender klingt, der auf die eine Art argumentiert und doch anders handelt, ergibt aus Julias Perspektive Sinn. Selbstverständlich kann die Lehre nicht heißen, keine Flyer zu überreichen. Julia verdeutlicht aber die ganze Bandbreite von möglichen Reaktionen auf die Fundraising-Kommunikation. Die einen sind dankbar, wenn ihnen Entscheidungen erleichtert werden, die anderen reagieren darauf "allergisch". Wo in der Massenkommunikation auf Fälle wie Julia wenig Rücksicht genommen werden kann, ist es in der persönlichen Begegnung umso wichtiger, Fingerspitzengefühl zu entwickeln und das Gegenüber zu erspüren. Manchmal ist weniger dann mehr.
* Das Interview stammt aus dem Jahr 2016. Julia ist an der Grenze zwischen zwei Generationen geboren, tendiert von ihrer Prägung deutlich zur Generation X.
In der Reihe GOLDWIND fragt – Spender antworten kommen Spender selbst zu Wort, um ihre Sicht der Dinge zu schildern. Die Auswahl der Interviewpartner erhebt keinen Anspruch auf Repräsentativität. Namen von Organisationen werden weitestgehend neutralisiert, da Spenderaussagen hier nur Einzelmeinungen in Bezug auf die genannten Organisationen darstellen können. Das Augenmerk wird auf das grundsätzliche Spenderempfinden gerichtet.