Viele Fundraisingtexte lesen sich wie frisch aus der Bundesbehördendruckerpresse: Kompliziert, dafür mit Bildungsanspruch. Im Zweifel mit fatalen Folgen. Liebe Fundraiser*innen, macht es bitte besser als RKI & Co!
Die Tage las ich einen sehr lesenswerten ZEIT-Artikel über das “kommunikative Desaster“ in der Corona-Krise. Und halt, bevor Sie jetzt schon keine Lust mehr haben weiterzulesen: Ich werde jetzt keinen Text über das Versagen der Politik verfassen, die nervige Situation im Besonderen oder etwas, das wir sonst schon nicht mehr lesen und hören können. Ich möchte auf den Kerngedanken des Artikels eingehen, weil er mich an vielen Stellen an Gespräche mit Fundraiser*innen erinnert hat, die sich verwundert darüber äußern, dass die eigene Kommunikation nicht so verfängt wie erhofft.
In besagtem Artikel wurden mehrere Studien und Umfragen zitiert, die zeigen, dass in einem überraschend großen Teil der Bevölkerung das Grundlagenwissen über Gesundheitsthemen, insbesondere die Corona-Pandemie, fehlt. Bis heute desinfizieren viele Menschen Tische und Türklinken, obwohl seit Mitte 2020 gesichert ist, dass Corona über die Luft übertragen wird. Mit großer Verwunderung nehmen das einige Politiker*innen zur Kenntnis, da man doch „wirklich jeden und jede über die Risiken dieses Virus, die Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen und den Segen der Impfungen aufgeklärt“ habe.(1)
Ja, kommuniziert wurde viel. Warum hat es dennoch nicht alle Menschen erreicht? Der Artikel zeigt eine Reihe von Fehlannahmen auf, von denen ich die aus meiner Sicht wichtigste aufgreifen will: Die Weitergabe von Information sei bereits sinnvolle Kommunikation. Mitnichten! Etwas gesagt zu haben, heißt noch lange nicht, dass es auch angekommen ist.
Kommunikation bedeutet, etwas so aufzubereiten, dass es verstanden wird. Der Maßstab dabei ist immer (und wirklich immer!) der/die Empfänger*in. Die meisten Texte auf der RKI-Webseite verstehen wohl vor allem die Damen und Herren vom RKI. Blöd, wenn die sich gegenseitig lektorieren. Beispiel gefällig? Lesen Sie den folgenden Satz aus der Perspektive eines durchschnittlich bis gering gebildeten Menschen, vielleicht sogar mit einer anderen Muttersprache als deutsch: „Vereinfacht [sic!] gesagt: wenn alle Personen einer Population geimpft sind (Impfquote 100%), beträgt der Anteil der Impfdurchbrüche an den Erkrankten 100%, (wenn ein Impfstoff nicht zu 100% wirksam ist).“(2)
Wenn Sie einen Fundraisingtext verfassen und die Kolleg*innen fragen, ob er verständlich ist, ist das die falsche Referenzgruppe. Die sind nämlich genauso tief in der Materie drin wie Sie. Zusammen optimieren Sie bestenfalls die Organisationssicht. Wenn Sie stattdessen Freunde oder Bekannte fragen, ist es schon ein Schritt in die richtige Richtung. Vermutlich sind diese aber ähnlich gebildet wie Sie. Das heißt, es kann sein, dass Ihre Bekannten den Text verstehen, Karlchen Musterspender und Anna Iwanow aber immer noch nicht.
In Deutschland ist eine Sache leider besonders fest verankert: Information muss stets sachlich fachlich korrekt formuliert sein. Das gibt den Verfasser*innen(!) Sicherheit. Je komplexer der Satz, je länger die Worte und je nominaler der Sprachstil, umso kompetenter erscheint der Inhalt. Dem setze ich ein klares „Kann man so machen, kommt man aber nicht weit mit“ entgegen. Je einfacher ein Text, umso größer die Gruppe an Menschen, die ihn versteht. (Und die "Schlauen" freuen sich nach einem langen Arbeitstag ebenfalls über kurze Sätze.)
Die derzeit diskutierte „Orientierung an der Hospitalisierungsinzidenz“ gehört für Bürger*innen übersetzt in „entscheidend ist, wie viele Menschen ins Krankenhaus eingeliefert werden“. Die "Sicherstellung von ausreichend Nahrungsmittelressourcen“ wird für Spender*innen anschaulicher, wenn es heißt: „Wir sorgen dafür, dass genug Essen da ist.“
Was nützt Ihnen aller Anschein von Kompetenz, wenn Sie nicht verstanden werden?
Verstecken Sie sich nicht hinter den Fachbegriffen, die Ihnen aus den Projektreferaten freigegeben werden. Diese mögen formal unangreifbar sein, sind aber selten fundraisingtauglich. Haben Sie Mut zur Unschärfe!
Ein weiteres Kommunikationsproblem ist der beharrliche Bildungsanspruch. Es reicht Politik und Medien nicht, den Menschen die Wirksamkeit der Impfung zu erklären. Der Vollständigkeit halber müssen noch Pro und Contras erörtert, Debatten zur Entscheidungsfindung nachgezeichnet und Alternativen aufgezeigt werden. Das ist inhaltlich umfassend – aber an vielen Stellen schlicht nicht zielführend. Weniger ist wie so oft mehr.
Ähnliche Tendenzen finden sich in der Fundraisingkommunikation. Auch das beste Storytelling wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um NGO-Faktenwissen ergänzt. Aber: Kein*e Spender*in muss Ihre Organisation in der Tiefe durchdringen. Niemand muss alle Arbeitsfelder eingetrichtert bekommen. Es ist nicht wichtig, in welchen Ländern Sie überall aktiv sind. Sie haben ein Fundraisingziel, kein Bildungsziel! Fokussieren Sie das Wesentliche.
Traurig, aber wahr: In einer Studie wollten Adrian Sargeant und Dr. Lucy Woodliffe zeigen, dass mehr Wissen über eine Organisation die Spenderbindung erhöhe. Überrascht stellten sie fest, dem nicht so ist. Sie schreiben dazu: „Dies ist vielleicht ein enttäuschendes Ergebnis, da es darauf hindeutet, dass gemeinnützige Organisationen nicht in der Lage sind, Bindung zu fördern, indem sie ein besseres Verständnis für ihre Organisation ermöglichen.“(3)
Wenn Sie möchten, dass die Menschen etwas tun, nämlich spenden, stopfen Sie sie nicht mit Wissen voll (noch dazu mit schwer verständlichem). Erreichen Sie erst ihre Herzen und zeigen Sie ihnen dann auf, was sie erreichen können. Denn, so schließt der ZEIT-Artikel, „die Erkenntnis und der Wille zur Verhaltensänderung entsteht aus einer anderen Motivation heraus: aus der sogenannten Selbstwirksamkeitserwartung, der Erwartung, selbst mit seinem Tun etwas zu bewirken.“(1)
Audiotipp zum Thema: www.deutschlandfunkkultur.de/behoerdendeutsch-ein-satz-mit-81-woertern-100.html
(1) ZEIT-Artikel: „Ein kommunikatives Desaster“ www.zeit.de/gesundheit/2022-02/gesundheits-kommunikation-corona-krise-regierung-lockdown-regeln (leider kostenpflichtig)
(2) www.rki.de/SharedDocs/FAQ/COVID-Impfen/gesamt.html;jsessionid=66815369E2A7C9F407EE24645B662298.internet061
(3) Adrian Sargeant & Dr. Lucy Woodliffe (2007) Building Donor Loyalty: The Antecedents and Role of Commitment in the Context of Charity Giving, Journal of Nonprofit & Public Sector Marketing, 18:2, 47-68