Der Sozialpädagoge wurde 1968 in Leipzig geboren und ging nach der Wende in den Westen. Heute arbeitet er in der Familien- und Jugendhilfe. Menschen und soziales Engagement sind sein tägliches Brot. Spenden sammelnden Organisationen gegenüber ist er dennoch misstrauisch. Sein Spendenverhalten lässt sich 25 Jahre nach der Wiedervereinigung als „typisch ostdeutsch“ bezeichnen. GOLDWIND erzählt er, was ihn bewegt – und was nicht.
Erik, wie oft spenden Sie und wofür?
Ich bin nicht so der typische Spender. Ich spende insgesamt recht wenig. Das sind dann unterschiedliche Anlässe und eher kleine Beträge. Eigentlich spende ich immer nur punktuell. Eher bei größeren Katastrophen. Ein Tsunami oder was anders. Und immer eher spontan. Zum Beispiel wenn ich Vordrucke bei der Sparkasse liegen sehe.
Was ist aus Ihrer Sicht der Grund dafür, dass Sie sich bei Geldspenden eher zurückhalten?
Ich glaube, dass – zumindest was Deutschland betrifft – ganz gute Regelungen vorherrschen. Jeder hat im Prinzip die Möglichkeit, sich finanzielle Mittel notfalls auch selbst zu organisieren. Ich glaube, dass zwar Armut existiert, aber keine so gravierende Armut, dass Todesgefahr besteht. Unser soziales Netz ist insgesamt intakt. Ob ich dann mit 20 oder 50 € irgendwas helfe…? Ich glaube, das hat keine entscheidende Auswirkung.
Sie sehen also den Bedarf nicht?
Naja, eher wenn es außerhalb von Deutschland ist. Bei Katastrophen oder Erdbeben. Haiti zum Beispiel war eine schlimme Sache. Da habe ich gespendet. Aber auch nur im geringen Umfang. Es ist auch nicht immer so klar, wohin die Gelder gehen. Da fehlt mir die Transparenz.
Sie sind in der DDR groß geworden. Wie sahen Engagement und Spenden dort aus?
Man hat sich entweder an Einsätzen beteiligt oder Sachwerte gespendet. Geld wurde eigentlich gar nicht eingesammelt. Die Sachwerte wurden immer für spezielle Zwecke gesammelt, z.B. für Kinder in Rumänien, Weihnachten in Bulgarien oder so.
Hat sich Ihre Familie daran beteiligt?
Ja. Die üblichen Päckchen für das Solidaritätskomitee der DDR [spendenfinanzierte Organisation, die die Entwicklungshilfeaktivitäten in der DDR koordinierte und dem Zentralkomitees der SED unterstand; Anmerk.] haben wir auch gepackt. Wir Kinder mussten dann auch mal ein Spielzeug abgeben oder auf die eine oder andere Schokolade verzichten. Aber keine Geldwerte. Insgesamt war das aber meines Wissens politisch sehr belastet. Das ging immer an befreundete Ostblockstaaten. Es war also rein politisch motiviert.
Was müsste eine Organisation heute machen, damit Sie spenden oder sich engagieren würden?
Ich müsste wissen, dass das Geld auch direkt bei den Betroffenen ankommt. Ich hätte keine Lust einen großen Verwaltungsapparat mit zu unterstützen. Das muss schlank bleiben. Da engagiere ich mich lieber ehrenamtlich. Ich war früher viel in Sportvereinen aktiv und habe mit Jugendlichen gearbeitet. Da wusste ich, dass ich konkret was bewirke. Das ist für mich wichtig. Bei Organisationen finde ich das schwierig. Da müsste erstmal das Vertrauen aufgebaut werden. Wie das passieren kann, das weiß ich nicht. Diese Mitleidnummern berühren mich beispielsweise gar nicht. Ich will sehen, dass etwas geleistet wird – und was genau.
Lieber Erik, vielen Dank für diese Einblicke!
Ein Vierteljahrhundert lebt Erik schon im Westen, aber die ersten 22 Jahre im Osten waren prägend. Er ist in dem Bewusstsein groß geworden, dass der Staat sich um seine Bürger kümmert. Und gleichzeitig hat er erlebt, wie das in den Staat gesetzte Vertrauen missbraucht wurde.
Wie er geben 41%* der Ostdeutschen an, dass Hilfe für die Ärmsten eine Aufgabe des Staates sei (29% der Westdeutschen). 55% sind unsicher, welcher Organisation sie vertrauen sollen (52% im Westen). Nur für jeden vierten Ostdeutschen sind Spenden eine Selbstverständlichkeit, aber für jeden dritten Westdeutschen. Ein Grund liegt in der christliche Sozialisation (Spenden für den Nächsten, individuelle Verantwortlichkeit), die im Westen stärker ausgeprägt ist als im Osten. Auch Erik gehört - wie die Mehrzahl der Ostdeutschen - keiner Kirche an.
*Zahlen: GfK Charity Scope 2015, zit. nach Fundraiser Magazin 5/2015
GOLDWIND rät: Wenn Sie in Ostdeutschland Spenden sammeln möchten, müssen Sie verstehen, wie die Menschen sozialisiert wurden und berücksichtigen, wie nachhaltig prägend diese Erfahrung ist. Der Spendenzweck darf dem Verständnis nach nicht „Sache des Staates sein“ (Schulbildung, Sozialhilfe o.ä.), die Spende muss konkret wirksam sein und die Organisation muss langfristig und mit langem Atem Vertrauen aufbauen. Denn einen Vertrauensvorschuss bekommen sie hier nicht.
* Das Interview stammt aus dem Jahr 2015. Erik gehört zur Generation X. Wobei die für die Generationenforschung entscheidende Prägung im Kindes- und Jugendalter in Ostdeutschland stattfand.
In der Reihe GOLDWIND fragt - Spender antworten kommen Spender zu Wort, um ihre Sicht der Dinge zu schildern. Die Auswahl der Interviewpartner erhebt keinen Anspruch auf Repräsentativität. Namen von Organisationen werden weitgehendst neutralisiert, da keine Spenderaussagen zu einzelnen Organisationen dargestellt werden sollen. Vielmehr ist das Augenmerk auf generelles Spenderempfinden gerichtet.