Die Spendenflut nach dem verheerenden Starkregen im Juli scheint auf den ersten Blick nur die Organisationen zu betreffen, die vor Ort aktiv waren. Aber die Spendenflut betrifft den ganzen NGO-Sektor. Denn jetzt gilt es, den vielen Neu- und Seltenspender*innen zu zeigen, dass Spenden eine „lohnende Sache“ ist!
Im Juli 2021 traf eine durch Starkregen ausgelöste Flutwelle weite Teile von NRW sowie den Norden Rheinland-Pfalz. Die anschließende sehr positive Welle der Hilfsbereitschaft war enorm. 159 Millionen Euro an Spendengelder sind allein bei Aktion Deutschland in den ersten zwei(!) Wochen eingegangen. Dazu kommen Spenden weiterer Bündnisse sowie Spendengelder direkt an Organisationen, die vor Ort tätig wurden bzw. selbst betroffen waren, weil sie im Gebiet ansässig sind. Bis Anfang August zählte das DZI 360 Millionen Euro. Als singuläres Ereignis erzielte nur der Tsunami in Asien 2004 mehr Spenden.
Diese Hilfsbereitschaft der Bevölkerung ist zunächst nicht verwunderlich. Schließlich ist „Nähe“ ein entscheidender Faktor für prosoziales Verhalten. Und diese Katastrophe war sehr nah. Nicht nur, weil sie in Deutschland stattfand, sondern mit NRW auch das bevölkerungsreichste Bundesland traf. Für rund 18 Millionen Deutsche war die Flut nochmals „näher“ (nicht nur räumlich, sondern auch psychologisch).
Der zweite Faktor für Hilfs- und Spendenbereitschaft ist „Anschaulichkeit“. Im Fundraising bilden wir das über möglichst präzises Storytelling ab. Hier wurden die Geschichten von den Betroffenen selbst geliefert – und zwar ohne Vermittler. Der Mediziner Gerhard Trabert war schon häufig in Katastrophengebieten unterwegs. Und dennoch haben ihn die Besuche in NRW und Rheinland-Pfalz besonders berührt. Die Erzählungen in der eigenen Muttersprache zu hören, träfe einen nochmals ganz anders, berichtete er in den Tagen nach der Flut immer wieder.
Die Bilanz für 2021 wird vermutlich wieder ein außergewöhnliches Spendenjahr verzeichnen. Die Gesamtspendensumme wird das letzte Rekordjahr sicher übertreffen. Und das, obwohl im Gegensatz zu Corona nur wenige Organisationen aufgrund der Flut zusätzliche Spendeneinnahmen generieren. Während im letzten Jahr das vermehrte Spendenaufkommen von den Stammspender*innen getragen wurde, bin ich überzeugt, dass diese Katastrophe vor der eigenen Haustür auch viele Neu- und Seltenspender*innen zum Spenden motivierte. Zumindest wäre es schön, wenn der Anteil der spendenden Personen in Deutschland mal wieder steigen statt sinken würde.
Der Anstieg alleine ist aber noch kein Anlass zu Freudensprüngen. Katastrophen haben es aufgrund ihres negativ emotionalisierenden Charakters leichter in der Spendenansprache. Gleichzeitig haben sie es schwerer Spender*innen zu binden. Die Zweitspenderrate nach Katastrophen oder Neuspendenmailings im Katastrophentenor sind in der Regel geringer als bei „normalen“ Spendenaufrufen.
Es betrifft den ganzen Sektor
Nun betrifft das erstmal nur die Organisationen, die die Spenden nach der Flut einwarben. Sie sind in erster Linie daran interessiert, diese Spender*innen auch zukünftig für weitere Projekte zu gewinnen. Ich finde, es geht um mehr. Im Zuge der bereits angesprochenen sinkenden Spendenzahlen, ist jede Person, die das Spenden (wieder) entdeckt, ein Gewinn für den Sektor und sollte darin bestärkt werden, sich auf diese Art und Weise für andere zu engagieren.
Denn wahr ist auch: Die Flut hat wieder gezeigt, dass viele Menschen aus den jüngeren Generationen (1970 und jünger) „selbst“ helfen wollten. Sie initiierten private Spendenaktionen und sammelten Sachspenden, koordinierten Hilfsaktionen über Facebook, brachten Essen zu den Helfer*innen und kamen zu Tausenden unaufgefordert in die am stärksten betroffenen Gebiete. Schon nach wenigen Tagen riefen die Behörden explizit dazu auf, nicht mehr auf eigene Faust anzureisen, sondern das den Profis zu überlassen und diese lieber mit Geld zu unterstützen.
Der spontane und vielfältige Einsatzwille war dennoch beeindruckend und die Betroffenen waren dankbar, gerührt – und vielfach erstaunt. Wer hätte gedacht, dass unsere „individualisierte Gesellschaft“ noch was für andere tut?
Tut sie, aber sie überlässt es ungern anderen. „Mir sind die Rückmeldungen wichtig: Zu hören, dass ich wirklich etwas helfen konnte, und die gezeigte Dankbarkeit. Beim Geldspenden gehe ich zwar auch davon aus, dass es was bringt, wenn die Organisation das Geld verantwortlich einsetzt. Aber es ist abstrakter und beruht auf ungeprüfter Hoffnung“, drückte es eine jüngere Spenderin in einem meiner Spenderinterviews aus.
Ein weiterer heutzutage wichtiger Aspekt ist, dass man von einem Hilfseinsatz vor Ort oder einen erfolgreich organisierten Sammlungsaktion besser erzählen kann. Die Spendenabbuchung aus dem Onlinebanking auf Instagram zu teilen, ist schlichtweg keine gute Story.
Wir alle sind dazu aufgerufen, Spenden genauso „sexy“ zu machen, wie einen Hilfseinsatz vor Ort. Das fängt bei der Kommunikation der Wirkung der Spende an. Die Flutspender*innen dürfen nicht mit dem Gefühl der „ungeprüften Hoffnung“ zurückgelassen werden. Das geht mit der erlebten Dankbarkeit der Flutbetroffenen weiter. Wann waren wir zuletzt so nah dran, wie in dieser Katastrophe? (Und NGOS sind näher dran als Journalist*innen!) Und hört da auf, wo Spenden sichtbar werden – und zwar jenseits von TV-Benefizgala-Laufbändern.
Die Zeit der Spenderbescheidenheit der Kriegsgeneration ist vorbei. Feiern wir die neuen Generationen für ihren Einsatz und begeistern wir sie für das Spenden – auch außerhalb von Katastrophen. Damit die Spendenflut der Flutspender*innen keine einmalige Welle bleibt. Die Zukunft der Branche liegt in jedem einzelnen Kontakt mit jungen Spender*innen. Je besser der jeder NGO gelingt, um so mehr profitieren wir alle.