Verwaltungskosten sind ein leidiges Thema und alleine das Wort lässt Spenderinnen und Fundraisern gleichermaßen die Fußnägel aufrollen. Daher vermeiden Fundraiserinnen darüber zu reden und Spender fragen selten nach. Gleichzeitig kennen alle die Situationen, in denen auch verhältnismäßig hohe Verwaltungskosten mit einem Achselzucken akzeptiert werden. Warum das so ist, erklärt eine Studie amerikanischer Psychologen.
Bevor ich zur Studie komme, eine kleine Geschichte aus meinem Alltag:
Es ist schon etwas her, da rief mich eine Freundin ganz aufgeregt an. Sie hätte am Abend vorher einen Spendenskandal aufgedeckt. Da ich aus der Branche sei, müsse ich den unbedingt verbreiten und was dagegen unternehmen. Ich war in höchster Alarmbereitschaft. Einen Spendenskandal kann niemand gebrauchen, das schadet allen. Gespannt hörte ich ihr zu …
Meine Freundin hatte in den Nachrichten die Spendenaufrufe der Aktionsbündnisse vernommen, denn es hatte eine Naturkatastrophen gegeben. Sie spendet viel, in der Regel jedoch für Tierschutzorganisationen. Die Katastrophenhilfe war Neuland für sie. Also habe sie angefangen zu recherchieren, berichtete sie mir aufgeregt. Dabei habe sie herausgefunden, dass die Organisation 14% Verwaltungskosten habe. „Danielle, das ist ein echter Skandal!!! Das geht doch gar nicht, oder?!“
Ich war heilfroh, dass wir es doch mit keinem Skandal zu tun hatten und habe ihr erklärt, dass das völlig in Ordnung sei. Ich verwies darauf, dass das DZI sogar bis zu 30% erlaube („echt???“) und dass die Organisation zufälligerweise mein Kunde sei und also auch ich aus diesen 14% bezahlt würde (das Argument hat sie direkt überzeugt ;-) ). Am Ende war sie verständig (reden hilft!), wenn auch nicht restlos glücklich. Die 14% hätten sie schon geschockt. Auf meine Frage, wie hoch denn der Werbekosten- und Verwaltungsanteil bei den Organisationen wäre, für die sie spendet, wusste sie keine Antwort. Das habe sie noch nie nachgeschaut. Also habe ich recherchiert. Triumphierend schrieb ich ihr noch am selben Tag, dass ihre Herzens-NGO 16% Verwaltungskostenanteil habe. Ihre lapidare Antwort war, dass das in ihren Augen völlig gerechtfertigt sei, denn die machten ja tolle Projekte. Ah ja ...
Die Psychologie klärt auf
Dieses scheinbare irrationale Verhalten beschreibt exakt das Ergebnis der Studie einer Forschergruppe um den Psychologen George Newman.1 Er und seine Kollegen untersuchten die Akzeptanz von Verwaltungskosten (genauer: Werbekosten) unter verschiedenen Bedingungen. So mussten die Probanden mehrere Entscheidungen treffen, bei denen Fundraisingergebnisse und Werbekosten gegenübergestellt wurden, z.B.
Option A: Organisation erzielt $1,200,000 bei $60,000 Kosten vs.
Option B: Organisation erzielt $1.000.000 bei $10.000 Kosten.
Option B war immer gleich, Option A variierte und erzielte bis zu $2 Mio. bei stets 5% Kosten, also bis zu $100.000 Kosten.
Zuvor wurden die Probanden gebeten, verschiedene Organisationen (Krebshilfe, WWF, UNICEF, Veteranenhilfe u. a.) nach ihrer persönlichen Wichtigkeit zu sortieren. Die eine Gruppe traf die o. a. Entscheidungen für die nach ihren Maßstäben wichtigste Organisation, die andere Gruppe für die aus ihrer Sicht unwichtigste Organisation. Das Ergebnis war eklatant unterschiedlich. Die Gruppe, die dem Thema der Organisation eine hohe Relevanz beimaß, entschied sich in allen Entscheidungsoptionen häufiger für das bessere Spendenergebnis (statt geringer Kosten) als die Gruppe, die für ein weniger wichtiges Thema entscheiden sollte. Zwar akzeptierte auch diese Gruppe mit zunehmenden Spendenergebnis immer häufiger die höheren Kosten, blieb aber stets hinter der anderen Gruppe zurück. Insgesamt gesehen, maßen sie den Verwaltungskosten eine höhere Bedeutung zu.
Rechtfertigt der Zweck die Mittel?, fragt die Studie. Ja, ist die Antwort und zwar umso stärker, je wichtiger das Thema für eine Person ist. Meine Freundin hat es wunderbar demonstriert.
Allerdings ist die Akzeptanz der Verwaltungskosten bei NGOs endlich. In der Studie gab es noch eine dritte Gruppe. Bei ihr wurde das Szenario dergestalt verändert, dass sie für ein Unternehmen entscheiden sollten, das das Geld spenden wollte und höhere oder niedrige Kosten hat, um die Summe selbst einzuwerben. Dem Unternehmen wurden deutlich häufiger höhere Kosten zugestanden, wenn das Ergebnis stimmte. Der Unterschied ließ sich nur auf die Varianz Profit vs. Non-Profit zurückführen.
Warum ist das so? Die Ergebnisse decken sich sicher mit den Erfahrungen in Ihrer Organisation. Ich vermute, Sie haben weniger Diskussionen über das Thema mit Groß- und Dauerspenderinnen als mit Impulsspendern. Aber warum sind letztere weniger ergebnisorientiert? Die Autoren der Studie erklären es so, dass diejenigen, die nicht vollumfänglich hinter dem Spendenzweck stehen, nicht gut genug beurteilen können, ob dafür auch der Einsatz hoher Mittel gerechtfertigt ist. Mit anderen Worten: sie gehen aus Unsicherheit auf Nummer sicher. Meine Freundin hielt zwar die Naturkatastrophe in dem Moment für spendenwürdig, war sich in Bezug auf die Organisation und zu erwartende Spendenwirkung jedoch nicht sicher genug. Da wollte sie keinen Euro „verschwendet“ sehen und sich wenigstens für eine in ihren Augen besonders „ehrwürdige“ Organisation entscheiden.
Was heißt das für die Praxis? In meinen Augen bedeutet das vor allem, dass wir den Spender:innen mehr zutrauen können. Wenn die Spendenwirkung klar kommuniziert wird, müssen (und sollten!) Verwaltungskosten kein Tabu sein. Das gilt besonders bei Stammspender:innen, die Sie schon begeistert haben. Bei Impuls-/Einmalspender:inen, die Verwaltungskosten (aus Mangel an sonstigem Wissen) eine zu hohe Bedeutung beimessen könnten, ist es wichtig besonders „ehrbar“ und vertrauenswürdig zu erscheinen.
Eine Fundraiserin hat mir mal berichtet, dass sie die ewigen Gespräche über die Kosten von Spendenbriefen leid war. Sie hat dann im Mitgliederheft eine ganze(!) Seite damit gefüllt, mit einer Grafik und einer verständlich geschrieben Alltagsanalogie aufzuzeigen, dass jeder in Spendenwerbung und in das gesamte Fundraising investierte Euro letztlich zu mehr Spenden und somit zu mehr Wirkung in den Projekten führt. Der Texte endete mit „unsere Kosten verringern die Spende nicht, sie machen mehr draus. Danke, dass wir das für euch tun dürfen.“
Ich fand das wunderbar! Genauso feiere ich Viva con Agua, denn die feiern seit jeher ihre Verwaltung. Unter der Zahl 23% (für das Jahr 2021) steht geschrieben: „Viele Menschen haben Angst vor "Verwaltung" und beäugen Ausgaben dafür sehr kritisch, vor allem bei sozialen Einrichtungen. Wir sehen das ein bisschen anders und feiern unsere Verwaltung! Denn: Ohne Verwaltung gäbe es kein Viva con Agua und keines unserer Projekte.“ (www.vivaconagua.org/transparenz)
So eine offensive Herangehensweise wünsche ich mir für alle Organisationen. Feiert das Fundraising und lasst euch für die erzielten Ergebnisse feiern. Dann können die Verwaltungskosten sogar die Spenderbindung stärken.
Tipp zum Weiterlesen: https://ngo-dialog.de/2021/05/spenden-fuer-verwaltungskosten/
1 Newman, G. E., Shniderman, A., Cain, D. M., & Sevel, K. (2019). Do the ends justify the means? The relative focus on overhead versus outcomes in charitable fundraising. Nonprofit and Voluntary Sector Quarterly, 48(1), 71-90.