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Spenderpsychologie praktisch:

„Seien Sie solidarisch!“ – Wie moralische Appelle in Spendenaufrufen am besten wirken

Gerade im vierten Spendenquartal appellieren viele Organisationen an die „christliche Nächstenliebe“ – oder humanistischer geprägt an „unser aller Verantwortungsbewusstsein“. Damit aktivieren sie das moralische Bewusstsein der Menschen. In welchem Kontext diese Appelle besonders gut wirken, hat eine Forscherinnengruppe in mehreren spannenden Experimenten herausgearbeitet. 

Die Moral regelt, was gut/richtig bzw. böse/falsch ist. Sie ist sowohl ein innerer Kompass, der unser eigenes Handeln leitet, als auch ein zwischenmenschliches Bewertungsinstrument: Wie beurteilen wir das Handeln anderer, wie beurteilen sie uns?

Spenden ist ein zutiefst moralischer Akt, denn er gilt als „richtig“, obwohl die Hergabe von Geld nicht primär zu unserem eigenen Nutzen ist. Viele Menschen möchten sich jedoch moralisch gut verhalten. Es ist daher aus Organisationssicht naheliegend, im Spendenaufruf das moralische Gewissen der Spenderinnen und Spender zu aktivieren.

Individualisierende vs. verbindende moralische Appelle

Gemäß der Moral Foundation Theory (Moralische Grundlagentheorie) des Sozialpsychologen Jonathan Haidt (und Kollegen) gibt es fünf grundlegende moralische Dimensionen und zwei moralische Identitäten. In jedem von uns steckt sowohl eine individuelle moralische Identität, die sich auf moralischer Ebene fragt: „Was ist das moralisch Richtige, das ich als Individuum tun sollte?“, als auch eine verbindende moralische Identität, die uns als Teil einer Gruppe wahrnimmt und sich fragt: „Was ist das moralisch Richtige, das wir als Gruppe tun sollten?“

Ist die individuelle Identität aktiviert, werden die moralischen Dimensionen „Fürsorge vs. Schaden“ und „Fairness vs. Betrug“ fokussiert.
Ist die verbindende Identität aktiviert, werden die moralischen Dimensionen „Loyalität vs. Verrat“, „Autorität vs. Unterwerfung“ und „Heiligkeit vs. Entehrung“ fokussiert.

  • Ein moralischer Appell, der die individuelle Identität anspricht, könnte lauten: „Ihr Herz ist bei Kindern aus armen Regionen. Handeln Sie jetzt! Tief im Herzen wissen Sie, dass Ihre Fürsorge und Ihr Handeln die richtige Entscheidung sind.“
  • Ein moralischer Appell, der die verbindende Identität als Gruppenmitglied anspricht, könnte lauten: „Übernehmen Sie Verantwortung als Bürger! Handeln Sie jetzt! Wenn Sie Kindern aus armen Regionen helfen, zeigen Sie Ihr soziales Verantwortungsbewusstsein.“

Diese Appelle entstammen aus Experimenten von Chen et.al.1
(als Fundraiser:innen hätten wir es für die Praxis natürlich sinniger formuliert ;-) ).

Der Kern der Experimente bestand jedoch nicht in der bloßen Überprüfung der moralischen Identitäten, sondern in deren Wechselwirkung mit der sozialen Wahrnehmung der Organisation.

Soziale Wahrnehmung des Absenders

Die Forscherinnen variierten die soziale Wahrnehmung, indem sie den Absender entweder als warm(herzig) oder als kompetent erscheinen ließen. Dies erreichten sie auf unterschiedlichen Wegen.

In Experiment 1 manipulierten sie die Zuschreibung über das Layout, indem Spendenbrief und Umschlag entweder in warmen Farben oder in Blau gehalten waren. Alles andere war identisch (bis auf die Appelle natürlich). In Experiment 2 wurde statt der Organisation der Fundraiser variiert: Auf einem Foto lächelte er freundlich, auf dem anderen nicht. (Jap, es ist wissenschaftlich mehrfach bewiesen, dass Männer, die nicht lächeln, als kompetent(er) wahrgenommen werden. Frauen, die nicht lächeln, wirken dagegen kühl und unsympathisch. Die Variation in dieser Form funktioniert daher nur mit Männern. Leider.) In Experiment 3 erfolgte die Manipulation über eine textliche Beschreibung, die entweder die Warmherzigkeit oder Kompetenz hervorhob.

Robuste Effekte über alle Settings hinweg

Doch nicht nur die soziale Wahrnehmung wurde unterschiedlich manipuliert, auch die Appelle wurden in verschiedenen Kontexten getestet. In Experiment 1 bezog sich der Spendenaufruf auf Kinderarmut und Bildung, in Experiment 2 auf Katastrophenhilfe und in Experiment 3 auf Umweltschutz. Bei letzterem handelte es sich zudem nur um einen indirekten Spendenaufruf. Hier wurde ein (warmes vs. kompetentes) Unternehmen vorgestellt, dass pro Verkauf einer Energiesparlampe, einen Teil des Erlös spenden will.

Selbst die sogenannte abhängige Variable, also die Messgröße, wurde in den Experimenten variiert: Mal wurde die Spendenbereitschaft mit einer Skala erhoben, mal konnten die Probanden ihre Aufwandsentschädigung für das Experiment real spenden (ganz, teilweise oder gar nicht) und mal wurde die Kaufbereitschaft für die Energiesparlampe abgefragt.

In allen drei Experimenten zeigte sich dasselbe Bild. Unabhängig von der erfolgten Manipulation, des Kontextes sowie der Messgröße.

Die Ergebnisse - auf die Passung kommt es an!

Die höchste Spendenbereitschaft zeigte sich in den Kombinationen

  • Individualisierender Appell + warmer Absender sowie
    Verbindender Appell + kompetenter Absender

Die niedrigste Spendenbereitschaft zeigte sich in den Kombinationen

  • Individualisierender Appell + kompetenter Absender sowie
    Verbindender Appell + warmer Absender

Dazwischen lagen Kombinationen mit einem neutralen Appell, der nur über den Spendenbedarf informierte.

Die Unterschiede waren in allen Experimenten statistisch signifikant. Es macht also nachweislich etwas aus, ob der Eindruck, den die Organisation hinterlässt, mit der Art des moralischen Appells korrespondiert. Tut es das nicht, sinkt die Spendenbereitschaft sogar!

Praktische Umsetzung

Die Ergebnisse haben aus meiner Sicht eine hohe Relevanz für den Fundraisingalltag, denn viele Spendenaufrufe enthalten bewusst oder unbewusst moralische Appelle. Zugleich machen sich die Spender:innen unweigerlich ein Bild der Organisation, die die Appelle verschickt.

  • Prüfen Sie zunächst, ob Ihr Text einen moralischen Appell enthält.
    Zielt dieser eher auf die individuelle Identität ab? Oder wird auf die Verantwortung als Teil einer Gruppe, z.B. der Gesellschaft, verwiesen (z.B. „seien Sie solidarisch “)? Manchmal ist das nicht einfach zu trennen. Im christlichen Kontext lässt sich Nächstenliebe sowohl als individuelle als auch als institutionelle Leitlinie verorten. Hier kommt es auf die Wortwahl an.
  • Prüfen Sie parallel, welchen Eindruck Ihre Organisation hinterlässt.
    Erscheinen Sie eher warmherzig mit Fokus auf das soziale Miteinander? Oder stellen Sie die professionelle Umsetzung Ihrer Projekte in den Vordergrund? Wenn Sie feststellen, dass es diesbezüglich Diskrepanzen zwischen Farbwahl, Text- und Bildsprache gibt, schaffen Sie erstmal Klarheit und Fokus. (Das ist unabhängig vom Appell empfehlenswert.)
  • Bringen Sie den moralischen Appell und die Wahrnehmung Ihrer Organisation in Einklang.
    Halten Sie sich dabei an die o. a. Ergebnisse. Passen Sie ggf. den Appell oder das Bild an, das Sie von sich vermitteln wollen.

Sicher ist die perfekte Kombi nicht in jedem Fall möglich. Kommunikation ist komplex und wie gesehen hat ja nicht nur die Organisation, sondern auch der/die Fundraiser/in einen Einfluss auf die Wahrnehmung. Im Zweifel belassen Sie es bei neutralen, d.h. nicht moralisierenden Appellen. Doch bei Spendenmailings, die von langer Hand vorbereitet und standardisiert verschickt werden, lohnt sich eine Überprüfung in jedem Fall.

 

1 CHEN S., WEI H. & MENG L. (2019) The impact of congruency between moral appeal and social perception on charitable donation [J]. Acta Psychologica Sinica, (12): 1351–1362.

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