Ursula Kapp-Barutzki von CARE fährt viel Bahn. Beim letzten Treffen der Regionalgruppe Köln-Bonn des Fundraisingverbands erzählte sie von ihren Bahngesprächen. Wenn sie erwähnt, was sie beruflich macht, wird ihr oft die Frage gestellt: „Werden die Spenden wirklich für den guten Zweck eingesetzt?“ Sie spürt dabei ein Misstrauen gegenüber der Arbeit von Spendenorganisationen. Viele der Anwesenden nickten. Sie kennen das aus eigener Erfahrung.
Gleichzeitig kam an anderer Stelle ihres Vortrages die Sprache auf Jahresberichte, die die Spender fordern – nur, um sie doch nicht zu lesen. Auch hier breite Zustimmung des Publikums. Eigentlich erstaunlich, wie viel Vertrauensvorschuss den NGOs bereits ab der ersten Spende entgegenschlägt.
Wie passt das zusammen?
Nun ist der erste Impuls, dass es sich eben um zwei verschiedene Persönlichkeitstypen handelt: Zum einen Menschen, die grundsätzlich prosozial eingestellt sind. Sie sind vertrauensvoll und spenden. Andere sind grundsätzlich negativ gegenüber Spenden eingestellt und nutzen das verbreitete „es kommt ohnehin nicht an“-Argument als willkommene Rechtfertigung ihrer Nicht-Spende. Psychologisch passt das: Jedwedes Verhalten braucht eine kongruente Einstellung (Spenden und Vertrauen bzw. Nicht-Spenden und Misstrauen). Andernfalls entsteht die sogenannte Dissonanz, ein ungutes Spannungsgefühl. Um dieses zu lösen, muss das Verhalten oder die Einstellung angepasst werden, so dass beides wieder übereinstimmt.
So weit so erklärbar. Dann führte ich das Spenderinterview für diesen Infoletter und da begegnete mir das Thema erneut: Und zwar in ein und derselben Person. Vertrauen und Misstrauen koexistieren mehr oder weniger friedlich nebeneinander. Das Vertrauen führt zu bereitwilligen Spenden, das Misstrauen zu Maßnahmen, die „falsche“ Spenden verhindern sollen. Das Misstrauen fußt sich auf enttäuschtem Vertrauensvorschuss und alarmierenden Medienberichten. Aber dennoch hat das Vertrauen die Oberhand: Die Gefahr einer erneuten Enttäuschung wird bewusst vermieden, indem Jahresberichte einfach nicht weiter geprüft werden.
Wie kommt es dazu? Es wäre ein Leichtes für jeden Spender, sich den Jahresbericht VOR der ersten Spende zu besorgen und daraufhin geeignete Spendenorganisationen auszuwählen. Dann ein kurzer prüfender Blick einmal im Jahr, ob alles noch passt – und weiter spenden, oder eben nicht. Das wäre logisch, rational und sinnvoll. Aber das wäre nicht der psychologisch geprägte Mensch. Der handelt aus anderen Motiven. Automatisierte Entscheidungsprozesse überlagern wohl überlegtes Handeln. Da wird „schneller gespendet als gedacht“. Vertrauensurteile basieren auf dem, was wir gemeinhin als „Bauchgefühl“ bezeichnen (aber tatsächlich sehr schnell ablaufende, nicht kontrollierbare Gedankenprozesse sind). Und dann greift die Kongruenztheorie: Ich spendete, also muss die Organisation gut sein. Und wehe, jemand sagt was anderes!
Ein weiterer Grund ist soziokultureller Natur: Es entspricht bei uns keiner Norm, den „guten Samariter“ kritisch zu hinterfragen. Wer Gutes tut, muss ehrbar sein. Wer das Infrage stellt, „beschmutzt“ das System. Also wird gespendet und pauschal vertraut. Dieses (erlernte) Ur-Vertrauen wird bei jedem Spenden-Skandal in den Grundfesten erschüttert. „Ich habe es immer gewusst“ sagen die Nicht-Spender mit zufrieden stolz-geschwellter Brust. „Wem soll ich überhaupt noch vertrauen, wenn nicht den NGO“, sind die anderen enttäuscht.
Klar, es hat keinen Nachrichtenwert, wenn alles läuft, wie erwartet. Und natürlich ist es besonders bei „den Großen“ (also denen mit dem meisten Vertrauensvorschuss) interessant, aufzudecken, dass nicht alles „rund“ läuft. Kann man das den Journalisten vorwerfen? Haben zudem nicht einige NGOs mit ihrer durchaus wohlgemeinten „100%-der Spenden-kommen-an“-Werbung die Erwartungshaltung an alle zu hoch getrieben?
Diese wenigen, aber spektakulären Spendenskandal-Fälle sind im Kollektivbewusstsein eingebrannt und führen zur Überschätzung der realen Auftretenswahrscheinlichkeit. Psychologisch kommt hier die sogenannte „Verfügbarkeitsheuristik“ zu tragen: Je einfacher Beispiele für eine Sache verfügbar sind, umso höher erscheint die Wahrscheinlichkeit. Spektakuläre Ereignisse sind verfügbarer als „normale“. Sie werden daher überschätzt.
Spendensiegel scheinen für die Spender ein Ausweg aus dem Dilemma zu sein: Sie haben das „anrüchige“ kritische Hinterfragen stellvertretend übernommen. Sie stellen das Ur-Vertrauen in das Gute auf rational geprüfte Füße. Selbstverständlich wird das Siegel selbst wieder nicht hinterfragt. Das gehört ja zu den Guten… Wie es zustande kommt, welche Kriterien es für die Siegelvergabe anlegt und welche Kosten damit verbunden sind, das wissen die meisten Spender ebenso wenig, wie sie die Jahresberichte ihrer NGO kennen.
Ich persönlich wünsche mir, dass die Spender mehr hinterfragen. Dass ein Blick auf die Zahlen VOR der ersten Spende kein schlechtes Gewissen auslöst. Dass Organisationen stolz kommunizieren, dass 85% ihrer Spenden ankommen. Dass Spender prominent über Verwaltungskosten informiert werden und vor allem richtig einschätzen können. Dass in den Medien die gute Arbeit der NGOs durch Aufklärungsarbeit PRO Verwaltungskosten unterstützt wird. Dass Spender ihr Ur-Vertrauen in ein „reales“ Vertrauen ummünzen – ohne „Restzweifel“ – und sie stolz und langfristig für ihre NGO spenden.
Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Aber es liegt an den Organisationen/Fundraisern, ihn zu gehen. Es erfordert Mut, die heiklen Themen offen anzusprechen und die Diskussionen auszuhalten. Den Spendern können wir ihr (falsches) Misstrauen aktuell nicht vorwerfen. Die Verantwortung zur Aufklärung liegt bei uns. Transparenz heißt für mich, nicht nur Zahlen offen zu legen, sondern sie zu erklären.