Stellen Sie sich Fundraising ohne Mitleid vor. Geht das? Mitleid gilt als Voraussetzung für eine Spende oder Hilfeleistung. Gleichzeit sind zu stark emotionalisierende Bilder in der Kommunikation aus ethischen Gründen Tabu, um den Spender nicht unter Druck zu setzen. Also: Mitleid provozieren ja oder nein? Und was hat das mit Spenderbindung zu tun?
Mitleid ist die Fähigkeit, sich in das Leiden anderer Menschen einfühlen zu können. Das ist weniger selbstverständlich als es auf den ersten Blick scheinen mag. Die eigenen Gefühle entstehen in der Regel spontan und reaktiv. Nachzuempfinden, was eine Person außerhalb des Selbst fühlen mag, erfordert verschiedene miteinander verwobene Prozesse.
Zunächst muss ein Hilfegebender die Notlage eines anderen erkennen und einordnen können. Er muss verschiedene emotionale Zustände unterscheiden: Was verrät der Gesichtsausdruck des anderen? Hat er Schmerzen? Ist er ängstlich? Blickt er hoffnungsvoll? Ist er erleichtert?
Als nächstes muss er sich kognitiv, also gedanklich, in die Lage des anderen versetzen. Diese Perspektivübernahme gelingt umso besser je anschaulicher die Situation ist. Ist der Hilfegebende vor Ort, so ist die Situation per se sehr greifbar. Alternativ ermöglicht eine detaillierte Beschreibung der Situation, den Standpunkt des anderen zu verstehen.
Als drittes ist es wichtig, die Gefühle des anderen teilen zu können. Die eigene emotionale Reaktion ist dabei ähnlich zu der, der beobachteten oder beschriebenen Person. Das heißt man fühlt tatsächlich so wie der andere. Der innere Erregungszustand ist nahezu identisch – und das obwohl einem die Situation nicht selbst widerfährt.
Das Ganze lässt sich mit dem Begriff Empathie betiteln. Er beschreibt eine emotionale Reaktion, die auf Erkennen, Verstehen und Nachempfinden des emotionalen Zustands einer anderen Person basiert. Empathie trennt nicht in Mitleid oder Mitfreude, sondern umfasst alle Emotionen. Die psychologische Forschung, insbesondere im Rahmen von Hilfeleistungen, hat sich allerdings überwiegend auf das Mitleid konzentriert. Es gilt – neben der sozialen Norm der Verantwortung – als wichtigster Motivator im Rahmen von Hilfeleistungen. Zahlreiche Studien belegen, dass empathisches Mitleiden mit Menschen in einer Notlage die Hilfsbereitschaft positiv beeinflusst.*
Leicht wird empathisches Mitempfinden und persönliches Unbehagen miteinander verwechselt. Beides kann durch dieselbe Situation hervorgerufen werden. So kann eine Person bei der Ansicht eines frierenden, bettelnden Obdachlosen dessen Situation empathisch nachempfinden. Oder sie reagiert genervt und verärgert, weil sie sich in eine Notlage hereingezogen fühlt, der sie nicht adäquat begegnen kann. Sie fühlt nicht wie der andere, sondern erlebt einen inneren Erregungszustand, der sich vielmehr mit „Aufregung“, „Beunruhigung“ oder „Verängstigung“ beschreiben lässt. Auslöser können „Scham“ oder „Ohnmacht“ sein.
Diesem persönlichen Unbehagen versucht der mit der Not Konfrontierte durch „Flucht“ zu entgehen: Sofern sich die Möglichkeit bietet, entzieht er sich der Situation. Wenn das nicht gelingt, zum Beispiel. weil der soziale Druck von außen zu groß ist, leistet er Hilfe, um die eigene Spannung abzubauen. Psychologen sprechen hier auch von egoistisch motivierter Hilfeleistung.
Altruistisch motivierte Hilfeleistung basiert dagegen auf „echter“ Empathie. Sich der Situation zu entziehen wäre hier keine Lösung. Denn das eigene Mitleiden kann nur reduziert werden, wenn das Wohlergehen des Notleidenden gesteigert wird. Wenn der Hilfegeber der Situation aus dem Weg geht, weiß er, dass es der Person weiterhin schlecht geht – und das fühlt er empathisch nach.
Sowohl Mitleid als auch persönliches Unbehagen, das zum Beispiel aus einer stark emotionalisierende Kommunikation resultieren kann, öffnen das Portemonnaie bei finanziellen Hilfeleistungen. Aber sie sind nicht gleich wirksam. Wo das Unbehagen vorherrscht (beides kann parallel existieren) ist die Belohnung bereits erreicht, wenn der Helfer gespendet hat und seine innere Erregung abbauen konnte. Verhaltenspsychologen nennen dies negative Verstärkung, denn etwas Unangenehmes wird entfernt. Weiteres Unbehagen möchte der Spender nicht erleben und wird der Situation, also auch der Spenden sammelnden Organisation, vorsorglich aus dem Weg gehen („proaktive Flucht“). Die altruistisch motivierte Spende ist dagegen erst dann belohnend, wenn es dem Notleidenden besser geht. Der Spender ist daher an Erfolgsmeldungen interessiert und erlebt diese als positiv verstärkend (=etwas Angenehmes erfolgt). Die empathische Mit-Freude stärkt die Bindung und macht weitere Spenden wahrscheinlich.
GOLDWIND rät Ihnen zu einer Kommunikation, die Mit-Fühlen ermöglicht (anschauliche Darstellung, Einzelfall beschreiben, Wirksamkeit der Spende herausstellen). Beschwören Sie kein persönliches Unbehagen herauf (zum Beispiel durch zu starke Leiddarstellung). Das bringt Ihnen nur einen kurzfristigen Fundraisingerfolg. Langfristig ist Mit-Freuen das Mittel der Wahl für eine nachhaltige Spenderbindung.
*Wenn Sie tiefer einsteigen möchten:
Bierhoff, H.W. (2010) Psychologie prosozialen Verhaltens. Warum wir anderen helfen. Stuttgart: Kohlhammer.
Schmidt-Denter, U. (1996) Soziale Entwicklung: Ein Lehrbuch über soziale Beziehungen im Laufe des menschlichen Lebens. Weinheim: Beltz PsychologieVerlagsUnion.
Wenn Sie noch etwas über M wie Modelllernen, Moral in der Spenderansprache oder mündige Spender erfahren möchten, finden Sie auch außerhalb des Glossars dazu Informationen.