Heute mache ich mir mal wieder Gedanken über den sinkenden Anteil an Spender:innen in Deutschland. Ich bin immer noch in Alarmstimmung und hochgradig besorgt. Weil Besorgnis aber oft lähmt, möchte ich dieses Mal Mut machen und plaudere etwas aus dem Nähkästchen. Vor einigen Jahren war ich nämlich auch in Bezug auf meine Zukunft alarmiert und habe eine Entscheidung getroffen, die schmerzlich war, aber dazu führte, dass Sie heute von mir lesen. Aber der Reihe nach …
Letzten Monat hat der Deutsche Spendenrat die Bilanz des Helfens 2022 veröffentlicht. Und da eine Botschaft viele Wiederholungen braucht um anzukommen, hatte ich überlegt, einfach meinen „Alarm-Artikel“ nochmals in den Infoletter aufzunehmen. Der hat bis heute die mit Abstand höchsten Abrufzahlen aller meiner jemals veröffentlichten Artikel erzielt. Er ging vor zwei Jahren viral, hat aber leider nichts an seiner Aktualität eingebüßt. Im Gegenteil, mein Alarmgefühl steigt weiter an, denn es wird jedes Jahr dramatischer.
Konkret geht es um den seit Jahren zu verzeichnenden Rückgang an Spender:innen in der Bevölkerung. Dieser wird „leider“ überlagert von relativ stabilen und in den letzten Jahren sogar zunehmenden Spendeneinnahmen, weil die verbliebenen Personen den Rückgang durch höhere Spenden kompensieren. Ich schreibe „leider“, weil es mich natürlich für jede einzelne Organisation freut, wenn die Spendeneinnahmen steigen. In den letzten Jahren basierten sie jedoch auf bitteren Krisen (Corona, Flut, Ukraine, Erdbeben Türkei/Syrien u.a.), die wir uns nicht weiter wünschen sollten, „damit der Laden läuft“. Und sie lenken vom eigentlichen Problem ab. Nichtspender:innen (vornehmlich Personen U60 Jahre) fürs Spenden zu begeistern, ist eine mühselige Aufgabe, die nicht sofort Früchte trägt, und die man gerne vor sich herschiebt, so lange es an andere Stelle (die „Alten“, Ü70) noch läuft. Wohlwissend, dass sich das langfristig rächen wird.
Ein Problem ist aus meiner Sicht die Erwartungshaltung der meisten NGOs, die zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung wird: „Die Jungen spenden nicht. Wir probieren es ja immer wieder, aber da kommt kaum was bei rum.“ Das Probieren läuft meist eher nebenbei und das ist die Krux. Wenn man eine schwierigere Zielgruppe nebenbei mitlaufen lässt, kann auch nicht viel dabei rum kommen. Dabei meine ich mit „nebenbei“ nicht zwingend, dass dahinter kein echtes Bemühen stecken würde. Es mangelt eher am Fokus.
Ich kenne das aus eigener Erfahrung. Als ich mich selbständig gemacht habe, habe ich das mit dem klaren Ziel gemacht, mein Geld im Non-Profit-Sektor zu verdienen. Schnell stellte ich jedoch fest, dass gemeinnützige Organisationen eine für mich zwar hochattraktive aber (aus vielerlei Gründen) schwierige Zielgruppe darstellten. Nach kurzer Zeit habe ich angefangen, weitere Einnahmequellen aus dem Profit-Sektor zu generieren. Das war einerseits klug, sonst hätte ich die ersten Jahre nie überstanden. Andererseits habe ich mich irgendwann darauf ausgeruht. Es war halt bequem, weil ich mit weniger Aufwand mehr Einkommen generierte. Ich habe den gemeinnützigen Sektor nie ganz verlassen und es hartnäckig weiter probiert, aber stets wurde mir vor Augen geführt, wie viel mühseliger das im Vergleich war. Über viele Jahre bestätigte sich so mein Glauben, dass es unmöglich sei, in dieser Branche ein volles Gehalt zu verdienen.
Das war unglaublich frustrierend und gleichzeitig wurde mir immer klarer, dass mein Herz am Fundraising hängt und dass ich einfach nichts anderes mehr machen will – sei es noch so lukrativ und bequem. Irgendwann hatte ich dann die bahnbrechende Erleuchtung: Vielleicht liegt es gar nicht an den Organisationen, sondern an der Tatsache, dass man nicht 100% der Einnahmen mit etwas generieren kann, auf das man nur 50% der Zeit verwendet. Schon gar nicht, wenn es der zeitaufwendigere Teil ist. Simple Mathematik. Letztlich war es egal, wie effizient ich mein Geld mit anderen Projekten verdiente, sie haben mir die notwendige Zeit und den Fokus von dem genommen, was ich eigentlich wollte. Irgendwann habe ich eine ebenso radikale wie schmerzvolle Entscheidung getroffen und mich von den Cash Cows getrennt. Das war hart und logischerweise nicht sofort von Erfolg gekrönt. Aber der volle Fokus auf das Fundraising hat letztlich dazu geführt, dass ich nun schon einige Jahre genug Aufträge für ein „volles Gehalt“ habe und ich mich von meinem eigenen Glaubenssatz der „unmöglichen Zielgruppe“ verabschieden musste. Selten habe ich mich lieber geirrt :-)
Warum erzähle ich diese recht persönliche Geschichte? Weil ich das Vorgehen der Organisationen in Bezug auf jüngere Spendergruppen so gut verstehe bzw. die Angst nachempfinden kann, die älteren Zielgruppen ziehen zu lassen (kleiner Zukunftsspoiler: die gehen unweigerlich von selbst). Und ich erkenne meinen Fehlglauben wieder, wenn ich mitbekomme, wie nur ein Bruchteil der investierten Ressourcen in Onlinefundraising bzw. die explizite Beschäftigung mit jüngeren Zielgruppen gesteckt wird und das dann als Beweis gilt, dass das alles nicht funktioniert. Wer hauptsächlich Briefe verschickt, bekommt selbstverständlich auch das meiste Geld über diesen Kanal. Oder anders herum: Wer 20% der Ressourcen oder gerade mal eine halbe Online-Fundraising-Stelle in diesen (nach wie vor) neuen Bereich steckt und sich wundert, dass nicht paretomäßig 80% der Spenden darüber generiert werden, sollte die Schuld weder den jüngeren, spendenunwilligen Spender:innen geben noch dem Medium mit seinen schlechten Öffnungsraten. Ohne Investition keine Lernkurve.
Den Gegenbeweis haben schon diverse Organisationen angetreten, die sich in den letzten Jahren gegründet haben und vom klassischen Fundraising so wenig Ahnung hatten, dass sie nicht auf die Idee kamen, Briefe zu verschicken, sondern intuitiv auf Online-Medien setzten. Sie haben 100% der Fundraising-Ressourcen auf die Online-Akquise verwendet und finanzieren sich entsprechend zu 100% aus Online-Quellen. Sie haben auf die schwierigen, aber durchaus zahlungskräftigen Online-Zielgruppen gesetzt und mit ihnen das Spendenwesen erlernt. Sie zeigen, dass es geht!
Wenn wir die Trendwende schaffen wollen (und das müssen wir!) und den Anteil der Spender:innen in der Bevölkerung wieder steigern wollen, müssen sich alle bewegen. Das macht erstmal keinen Spaß, aber es lohnt sich. Versprochen!
Und bevor einige Vorstände panisch werden: selbstverständlich soll das nicht heißen, dass Organisationen mit vielen älteren Spender:innen komplett auf Briefe verzichten sollen. Doch wer langfristig überleben will, muss die Investitionen umkehren - in andere Medien und angepasste Inhalte.
Veränderung braucht Fokus. Und zwar deutlich mehr als jetzt.