Ein neuer Spendenbrief steht an. Die Themenplanung verläuft analog zum letzten Jahr. Aber darf das wiederkehrende Thema auch mit derselben Geschichte erzählt werden? Wie steht es um Fotos, Headlines oder Zitate? Kann man die zweitverwerten? Viele Fundraiserinnen befürchten, Spender könnten sich langweilen oder alten Geschichten die notwendige Aktualität absprechen.
Die Psychologie verrät, welch positive Wirkung Wiederholung haben kann und wie sie die Bindung stärkt.
Eigentlich ist es logisch: Nur wer etwas mehrfach wiederholt, kann es lernen. Das wissen wir aus der Schule - egal, ob es um Gedichte oder einen komplexen Klausurstoff geht. Mühsam wurde da wiederholt und wiederholt, bis es saß. Die Wiederholung arbeitet dabei gegen das Vergessen an, dem Angstgegner des Lernens. Der Psychologe Hermann Ebbinghaus gilt als Pionier der experimentellen Gedächtnisforschung. Ende des 19. Jahrhunderts ermittelte er in Selbstversuchen mit sinnlosen Silben sogenannte Vergessenskurven, die darstellten, wie schnell gelernte Inhalte vergessen werden. Bereits nach 20 Minuten waren erste Inhalte weg, am nächsten Tag über die Hälfte. Eingängige Gedichte lassen sich besser behalten, bleiben aber ohne Wiederholung auch nicht ewig im Gedächtnis.
Werbetreibende Unternehmen sind entsprechend penetrant mit ihren Botschaften. Werbeanzeigen, -plakate oder -spots werden möglichst oft wiederholt, und zwar ohne Variationen. Ein und dieselbe Person soll möglichst oft mit demselben Stimulus (=Reiz) in Kontakt kommen, um diesen nicht mehr zu vergessen. Idealerweise wird er unabhängig vom Werbekontakt erinnert, nämlich beim nächsten Einkauf.
Spendenwerbung ist – der Name verrät es: Werbung. Auch wenn die nach wie vor üblichen Spendenbriefe den Anschein von individueller Ansprache erwecken sollen, enthalten sie letztlich dieselben Elemente wie jeder Werbespot: Geschichte, Botschaft, Handlungsaufforderung.
Fazit 1: Im Entstehungsprozess eines Mailings gibt es so viele Abstimmungsschleifen, Korrekturen und Anpassungen, dass die hauptverantwortliche Fundraiserin sowohl Text als auch Bilder und Headlines so oft sieht, dass sich die Inhalte für lange Zeit einprägen bzw. schnell wieder hervorgeholt werden können. Die Spender:innen lesen den Text dagegen (wenn überhaupt) nur einmal. Sie werden sich im Jahr drauf nicht mehr daran erinnern. Langweilig wird es für sie nur, wenn es schon beim ersten Lesen langweilig war…
>> (Gute) Geschichten und Texte können problemlos zweit- oder drittverwertet werden, ohne dass es auffällt. Wichtige Botschaften sollten sogar wiederholt werden, und zwar häufiger als jährlich.
Neben dem bewussten Lernen spielt auch das unbewusste Wiedererkennen eine wichtige Rolle. 1968 veröffentlichte Robert Zajonc1 ein Experiment, mit dem er nachwies, dass die bloße Darbietung von Stimuli die Sympathie für eben diese erhöht, und zwar ohne dass sie wiedererkannt wurden. Er präsentierte Probanden verschiedene chinesische Schriftzeichen. Später sollten sie eine ganze Reihe von chinesischen Schriftzeichen dahingehend einschätzen, ob es sich wohl um positive Worte handele oder nicht. Die Zeichen, die die Probanden vorher schon gesehen hatten, schnitten besser ab. Mehr noch: waren sie zuvor mehr als einmal präsentiert worden, verstärkte sich der Effekt. Die Zeichen waren allesamt so komplex, dass sie nicht bewusst wiedererkannt werden konnten.
Als Erklärung für diesen als Mere-Exposure-Effekt bekannt gewordenen und unzählige Male mit u.a. Phantasieworten, Musikabfolgen oder Bildern replizierten Effekt wird herangeführt, dass das Gehirn einen Stimulus, den es zuvor schon einmal gesehen hat, bei jeder erneuten Darbietung einfacher verarbeiten kann. Diese Erleichterung goutiert es mit einer Sympathiebezeugung. Frei nach dem Motto: Du machst mir keine Mühe – Dich mag ich! Auch Vertrauen basiert auf Wiederholung. Je öfter wir etwas tun, erleben oder sehen, umso vertrauter wird es uns. Markenbildung baut darauf auf, indem bspw. Logos so oft wie möglich präsentiert werden.
Der Mere-Exposure-Effekt funktioniert am besten, wenn keine bewusste Erinnerung stattfindet. Ohne eine bewusste Referenz wie „ach, das habe ich schon mal gesehen, deswegen kommt es mir bekannt vor“ zieht das Gehirn den Fehlschluss „das kenn ich nicht, ist aber angenehm in der Verarbeitung, dann muss es was Gutes sein“. Zugleich bestünde die Gefahr, dass bei einer bewussten Verarbeitung der Reiz negativ bewertet wird. Das ändert sich auch durch Wiederholung nicht (z.B. „Seitenbacher - lecker, lecker, lecker“).
Fazit 2: Wiederholung macht sympathisch, insbesondere wenn es sich um nicht bewusst erinnerte Stimuli handelt (z.B. Bilder aus vergangenen Mailings). Bewusstes Wiedererkennen erhöht nicht per se die Sympathie, aber stärkt das Gefühl von Vertrautheit. Dafür muss der Stimulus aber auch unter bewusster Verarbeitung positiv bewertet werden.
>> Streuen Sie bereits verwendete Bestandteile immer wieder in die Kommunikation ein. Positiv bewertete Bestandteile (z.B. besonders tolle Key Visuals/Bilder, Logo, Layout/Farbgebung) sollten Sie besonders oft wiederholen.
Den Fundraiserinnen und Fundraisern rufe ich also zu: Keine Angst vor Wiederholungen! Das Lernen Ihrer Botschaft erfordert Wiederholungen. Zugleich bewirken sie das Gefühl von Vertrautheit. Das macht Sie sympathisch und erhöht die Bindung! Nichts ist schöner als „nach Hause kommen“.
Wenn Sie noch etwas über W wie Wo fängt Ihre Wertschätzung an?, Warum Männer und Frauen nicht dasselbe sein sollten oder Weg mit der „Planungssicherheit“! lesen möchten, finden Sie auch außerhalb des Glossars dazu Informationen.
1Zajonc, R.B. (1968) Attitudinal Effects of Mere Exposure. Journal of Personality and Social Psychology, 9, 1-27